HELMHOLTZ-PREIS 1996 (Preisverleihung am 15.04.1996)

Werner Hemmert für die Arbeit „Dreidimensionale Schwingungsmessungen im Innenohr: Aufklärung der Frequenzselektivität des Gehörs“

Preisträger 1996: Schwingungen im Innenohr dreidimensionmal gemessen

Werner Hemmert wurde 1964 in Moosburg an der Isar geboren. Er studierte Elektrotechnik und Informationstechnik an der Technischen Universität München (TUM). Von 1991 bis 1998 untersuchte er am Hörforschungszentrum der Universität Tübingen die Mikromechanik des Innenohres. Für die dort durchgeführten Forschungsarbeiten wurde er 1997 an der Ruhr-Universität Bochum promoviert. Nach Forschungsaufenthalten am Massachusetts Institute of Technology (MIT, 1998-2000), den IBM Forschungslabors in Rüschlikon (2000-2001) und bei Infineon (2001-2007) wurde er 2007 als Professor für „Bioanaloge Informationsverarbeitung“ an die Technische Universität München berufen.

Beim Hörvorgang lösen die vom Trommelfell aufgenommenen Schallschwingungen in der Hörschnecke (Cochlea) eine Wanderwelle aus. Diese wird von motorischen Sinneszellen, welche im Corti-Organ eingebettet sind, frequenzspezifisch verstärkt. Diese Sinneszellen, die sogenannten äußeren Haarsinneszellen, sind im Innenohr zwischen zwei schwingende Membranen eingespannt, der Basilarmembran und der Tektorialmembran. Die Verstärkung beruht auf einer einzigartigen Eigenschaft dieser Zellen: Wenn sie durch die Wanderwelle erregt werden, reagieren sie mit einer schnellen Längenänderung ihres Zellkörpers und koppeln so Energie in die Schwingung ein. Die auf diese Weise verstärkte Wanderwelle weist eine wesentlich schärfere Frequenzabstimmung auf, die von den benachbarten inneren Haarsinneszellen aufgenommen wird. An ihnen befinden sich die Synapsen der Hörnervenfasern, welche die in Nervenimpulse umgewandelten Signale weiter zum Gehirn leiten.

Wie sich das schwingende System aus Tektorialmembran und äußeren Haarzellen bewegt, untersuchte Dipl.-Ing. Werner Hemmert am Hörforschungslabor der Universität Tübingen mit Hilfe einer von ihm entwickelten Messapparatur, welche die schallinduzierten Schwingungen in drei Dimensionen optisch erfasste. Für seine Arbeit, die im Rahmen seiner Dissertation entstand, wurde er mit dem Helmholtz-Preis 1996 im Bereich „Physikalische Messtechnik in Medizin und Umweltschutz“ ausgezeichnet.

Die dreidimensionale Schwingungsmessung wurde unter einem Mikroskop mit Hilfe eines Laser-Doppler-Vibrometers und eines Photodiodensystems erfasst. Während mit dem Laserstrahl des Vibrometers die transversale Schwingungskomponente längs der optischen Achse des Mikroskops erfasst wurde, war die Photodiode in der Ebene senkrecht zum Laserstrahl empfindlich. Um die Empfindlichkeit der Photodiodenmessungen zu erhöhen, wurden Mikrokugeln aus Polystyrol auf das zu beobachtende Objekt eingebracht. Hemmert präparierte die Cochlea eines Meerschweinchens so, dass das Corti-Organ mit den sensorischen Zellen und der Tektorialmembran optisch zugänglich war. Die Schallstimulation in einem Frequenzbereich von 50 Hz bis 2 kHz erfolgte mit einem Lautsprecher durch das noch intakte Mittelohr.

Wie die Mikromechanik der Cochlea funktioniert, zeigten die Messungen der transversalen Bewegung und der radialen Bewegungskomponente der Tektorialmembran. Die Bewegungsantwort der Basilarmembran zeigte im tieffrequenten Hörbereich des Meerschweinchens ein absolutes Maximum bei der „Bestfrequenz“, z.B. 735 Hz in einem Präparat. Die radiale Komponente der Tektorialmembran hingegen zeigte eine erste Resonanz bei 470 Hz. Dieses Verhalten beruht auf der komplexen Mikromechanik des Corti-Organs. So wird die Resonanz bei 470 Hz hervorgerufen durch die Masse der Tektorialmembran und Steifigkeit der Stereozilien der äußeren Haarsinneszellen. Auf Grund seiner Messungen vermutete Hemmert, dass die massekontrollierte Schwingung der Tektorialmembran die richtigen Phasenbedingungen liefert, sodass die Kontraktion der äußeren Haarzellen im Bereich unterhalb der Bestfrequenz Energie in die entlang der Basilarmembran laufenden Wanderwelle einkoppelt und sie dadurch verstärkt.

Darüber hinaus erlauben die von Hemmert gefundenen Erkenntnisse, Funktionsstörungen des schwerhörigen Ohres, die z. B. bei einer Lärmschwerhörigkeit auftreten, besser zu verstehen. Bei einem Hörschaden durch den Verlust äußerer Haarzellen können einfache Hörgeräte zwar die ins Ohr geleiteten Schallsignale verstärken und leise Töne wieder hörbar machen. Von außen kann jedoch die von intakten äußeren Haarzellen erreichte scharfe Frequenzabstimmung der Wanderwelle im Innenohr nicht wiederhergestellt werden. Deshalb bleibt es für die meisten Schwerhörigen schwierig, Sprache in Störgeräuschen herauszufiltern. Aus diesem Grund werden neuartige Hörgeräte entwickelt, welche auch diese Aufgabe mit zunehmendem Erfolg lösen.

Literatur

Werner Hemmert: Dreidimensionale Schwingungsmessungen im Innenohr: Aufklärung der Frequenzselektivität des Gehörs. PTB-Mitteilungen 107, (1997), 12

Werner Hemmert et al.: Three dimensional motion of the organ of Corti. Biophys. J. 78, (2000), 2285